„Prädestination“ – Versionsunterschied

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'''Prädestination''' ({{laS|praedestinatio}}) bedeutet Vorherbestimmung und ist ein [[Theologie|theologisches]] Konzept, dem zufolge [[Gott]] von Anfang an das Schicksal der Menschen vorherbestimmt hat.<ref>Minho Kim: ''Die umstrittene Prädestinationslehre: Luther – Calvin – Barth.'' Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, ISBN 978-3-7887-2656-0.</ref> Insbesondere geht es dabei um eine Erwählung einzelner [[Seele]]n zum [[Ewiges Leben|ewigen Leben]] oder zu ewiger [[Verdammnis]]. Hintergrund stellt die menschliche Annahme dar, dass Gott über ihn als Gattungswesen erhaben und jenseitig sei. Der [[Demiurg#Antike christliche Großkirche|Schöpfer]] sei von seiner Schöpfung qualitativ abgehoben, Gott stehe über der Wirklichkeit der Schöpfung, selbst in Jesus und dem [[Abendmahl Jesu|Abendmahl]], wo er sich mit diesem verbände. Die Niedrigkeit des Menschen vor dem erhabenen Gott kommt auch durch die Lehre von der Prädestination zum Ausdruck. Das Heil erlangt, wer von Gott zum Heil vorherbestimmt ist.
'''Prädestination''' ({{laS|praedestinatio}}) bedeutet Vorherbestimmung und ist ein [[Theologie|theologisches]] Konzept, dem zufolge [[Gott]] von Anfang an das Schicksal der Menschen vorherbestimmt hat.<ref>Minho Kim: ''Die umstrittene Prädestinationslehre: Luther – Calvin – Barth.'' Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, ISBN 978-3-7887-2656-0.</ref> Insbesondere geht es dabei um eine [[Erwählung]] einzelner [[Seele]]n zum [[Ewiges Leben|ewigen Leben]] oder zu ewiger [[Verdammnis]]. Hintergrund stellt die menschliche Annahme dar, dass Gott über ihn als Gattungswesen erhaben und jenseitig sei. Der [[Demiurg#Großkirche|Schöpfer]] sei von seiner Schöpfung qualitativ abgehoben, Gott stehe über der Wirklichkeit der Schöpfung, selbst in Jesus und dem [[Abendmahl Jesu|Abendmahl]], wo er sich mit diesem verbände. Die Niedrigkeit des Menschen vor dem erhabenen Gott kommt auch durch die Lehre von der Prädestination zum Ausdruck. Das Heil erlangt, wer von Gott zum Heil vorherbestimmt ist.


== Christentum ==
== Christentum ==

=== Das einflussreiche Konzept des Augustinus ===
=== Das einflussreiche Konzept des Augustinus ===
Die Prädestinationslehre des [[Kirchenvater]]s [[Augustinus von Hippo|Augustinus]] ist im Wesentlichen in den Schriften „De gratia et libero arbitrio“ sowie „De correptione et gratia“ um das Jahr 427 ausgeführt und entstand in der Auseinandersetzung mit dem [[Manichäismus]] sowie dem [[Pelagianismus]]. Ausgangspunkt ist Augustinus’ Aufspüren des Willens in einer Person.
Die Prädestinationslehre des [[Kirchenvater]]s [[Augustinus von Hippo|Augustinus]] ist im Wesentlichen in den Schriften ''De gratia et libero arbitrio'' sowie ''De correptione et gratia'' um das Jahr 427 ausgeführt und entstand in der Auseinandersetzung mit dem [[Manichäismus]] sowie dem [[Pelagianismus]]. Ausgangspunkt ist Augustinus’ Aufspüren des Willens in einer Person. Siehe zur augustinischen Einschätzung der Willensfreiheit auch sein Werk ''[[De libero arbitrio (Augustinus)|De libero arbitrio]]''.


Dieser Wille schließt besonders auch die Triebe und Affekte ein, die der Mensch in seinem Geist dem göttlichen Gesetz angleichen soll.<ref>Markus Vincent: ''Augustinus''. In: Metzler Lexikon Christliche Denker, Metzler 2000, S.&nbsp;53f</ref> Für [[Pelagius (Theologe)|Pelagius]] und seine Anhänger hat der Mensch eine Lernfähigkeit durch das von Gott gesandte Gesetz. Für Augustinus dagegen ist der Mensch durch den [[Sündenfall]] in der daraus erwachsenen [[Erbsünde]] verfangen und unfähig, das Gute zu wollen. Nur Gott könne den auf die [[Gnade]] angewiesenen Menschen befreien.<ref>Markus Vincent: ''Augustinus''. In: Metzler Lexikon Christliche Denker, Metzler 2000, S. 54.</ref> Der Unterschied zwischen Pelagius und Augustinus wird durch die Auseinandersetzungen um die [[Kindertaufe#Augustinus und die Lehre von der Erbsünde|Kindertaufe]] besonders deutlich.
Dieser Wille schließt besonders auch die [[Triebtheorie|Triebe]] und [[Affekt]]e ein, die der Mensch in seinem Geist dem göttlichen Gesetz angleichen soll.<ref>Markus Vincent: ''Augustinus''. In: Metzler Lexikon Christliche Denker, Metzler 2000, S.&nbsp;53f</ref> Für [[Pelagius (Theologe)|Pelagius]] und seine Anhänger hat der Mensch eine Lernfähigkeit durch das von Gott gesandte Gesetz. Für Augustinus dagegen ist der Mensch durch den [[Sündenfall]] in der daraus erwachsenen [[Erbsünde]] verfangen und unfähig, [[das Gute]] zu wollen. Nur Gott könne den auf die [[Gnade (Theologie)|Gnade]] angewiesenen Menschen befreien.<ref>Markus Vincent: ''Augustinus''. In: Metzler Lexikon Christliche Denker, Metzler 2000, S. 54.</ref> Der Unterschied zwischen Pelagius und Augustinus wird durch die Auseinandersetzungen um die [[Kindertaufe#Augustinus und die Lehre von der Erbsünde|Kindertaufe]] besonders deutlich.


Bei den christlichen Autoren von der Spätantike bis in die frühe Neuzeit hat der Begriff [[freier Wille]] noch nicht oder nicht nur den modernen philosophischen, psychologischen und strafrechtlichen Sinn. Stattdessen geht es immer auch um die Fähigkeit zum Guten oder zum Bösen des zunächst als [[Gottebenbildlichkeit|Ebenbild Gottes]] erschaffenen, dann aber vom [[Teufel]] verführten Menschen.
Bei den christlichen Autoren von der [[Spätantike]] bis in die [[frühe Neuzeit]] hat der Begriff [[freier Wille]] noch nicht oder nicht nur den modernen [[Philosophie|philosophischen]], [[Psychologie|psychologischen]] und strafrechtlichen Sinn. Stattdessen geht es immer auch um die Fähigkeit zum Guten oder zum Bösen des zunächst als [[Gottebenbildlichkeit|Ebenbild Gottes]] erschaffenen, dann aber vom [[Teufel]] verführten Menschen.


Augustinus’ Konzeption, in der Gott erwählt und die Anzahl der Geretteten an der ewigen Gemeinschaft festlegt, bleibt durch die polemisch geführten Streitschriften mehrdeutig, so dass sie später von unterschiedlichen Richtungen genutzt werden konnte: Im Mittelalter von dem Kirchenlehrer [[Thomas von Aquin]] und in der [[Reformation]] von Luther und Calvin.<ref>[[Eckard König]], [[Thomas Rentsch]]: ''Augustinus, Aurelius''. In: Jürgen Mittelstraß: ''Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie.'' Zweite Auflage. Band 1, Metzler 2005, ISBN 978-3-476-01372-9, S. 293–240.</ref>
Augustinus’ Konzeption, in der Gott erwählt und die Anzahl der Geretteten an der ewigen Gemeinschaft festlegt, bleibt durch die polemisch geführten Streitschriften mehrdeutig, so dass sie später von unterschiedlichen Richtungen genutzt werden konnte: im Mittelalter von dem [[Kirchenlehrer]] [[Thomas von Aquin]] und in der [[Reformation]] von Luther und Calvin.<ref>[[Eckard König]], [[Thomas Rentsch]]: ''Augustinus, Aurelius''. In: Jürgen Mittelstraß: ''Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie.'' Zweite Auflage. Band 1, Metzler 2005, ISBN 978-3-476-01372-9, S. 293–240.</ref>


=== Präszienz (Vorherwissen) ===
=== Präszienz (Vorherwissen) ===
Im Mittelalter wird eine abgeschwächte Version der Prädestinationslehre diskutiert, in der es nur um das Vorherwissen (Präszienz) Gottes geht: Der Mensch hat den vollen freien Handlungsspielraum, aber Gott sieht voraus, was er tun wird. Es wird zwischen der intellektuellen und der voluntativen Präszienz unterschieden.<ref>Thomas Rentsch: „Prädestination“. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): ''Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie'', Bd. 3. Metzler, Stuttgart/Weimar 1996, S. 308f.</ref>
Im Mittelalter wird eine abgeschwächte Version der Prädestinationslehre diskutiert, in der es nur um das Vorherwissen (Präszienz) Gottes geht: Der Mensch hat den vollen freien Handlungsspielraum, aber Gott sieht aufgrund seiner [[Allwissenheit]] voraus, was er tun wird. Es wird zwischen der intellektuellen und der voluntativen Präszienz unterschieden.<ref>Thomas Rentsch: ''Prädestination.'' In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): ''Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie'', Bd. 3. Metzler, Stuttgart/Weimar 1996, S. 308f.</ref>


=== Doppelte Prädestination ===
=== Doppelte Prädestination ===
Von Augustin bis zu den Reformatoren wurde die Lehre einer doppelten Prädestination entwickelt: Manche Menschen würden durch die Gnade Gottes zum ewigen Leben bestimmt, andere von Gott getrennt. Die Grundlage war ein ''absolutum decretum'' (das heißt, ein Ratschluss, der unabhängig von Verdienst oder Schuld des Menschen ergeht).<ref>Vergleiche etwa bei Johannes Calvin: ''Institutio christianae religionis'' III, 21.5; in: ''Opera selecta'', hg. von Peter Barth und Wilhelm Niesel, München ²1959.</ref> Dieser Ansicht widerspricht besonders [[Karl Barth]] mit der Lehre von Gottes [[Kirchliche Dogmatik#Die Gnadenlehre|Gnadenwahl]]: Eine Verwerfung oder Verdammnis durch Gott gebe es nicht. Alle Menschen seien vielmehr durch Christi Leiden und Auferstehung von Gott zum Heil auserwählt.<ref>Karl Barth: ''Kirchliche Dogmatik'' II/2</ref> Schon die [[Remonstranten]] argumentierten gegen die doppelte Prädestination; deren Prinzipien wurden allerdings auf der [[Dordrechter Synode]] (1618–1619) abgelehnt. [[Moyse Amyraut]] (1596–1664) milderte diese Ablehnung ab durch den ''Universalismus hypotheticus'', also ähnlich wie Luther durch die Annahme eines gnädigen Willens Gottes, alle Menschen unter der Bedingung des Glaubens selig zu machen. Dagegen wandte sich wiederum der ''[[Consensus Helveticus]]'', der in der Schweiz teilweise eingeführt wurde.<ref>Olivier Fatio: [http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D17201.php ''Formula Consensus''.] Historisches Lexikon der Schweiz, 9. Dezember 2009; Darstellung der Zusammenhänge, auf Deutsch</ref>
Von Augustin bis zu den Reformatoren wurde die Lehre einer doppelten Prädestination entwickelt: Manche Menschen würden durch die Gnade Gottes zum ewigen Leben bestimmt, andere von Gott getrennt. Die Grundlage war ein ''absolutum decretum'' (das heißt, ein Ratschluss, der unabhängig von Verdienst oder Schuld des Menschen ergeht).<ref>Vergleiche etwa bei Johannes Calvin: ''Institutio christianae religionis'' III, 21.5; in: ''Opera selecta'', hg. von Peter Barth und Wilhelm Niesel, 2.&nbsp;Auflage, München 1959.</ref> Dieser Ansicht widerspricht besonders [[Karl Barth]] (1886–1968) mit der Lehre von Gottes [[Kirchliche Dogmatik#Erwählung|Gnadenwahl]]: Eine Verwerfung oder Verdammnis durch Gott gebe es nicht. Alle Menschen seien vielmehr durch Christi Leiden und Auferstehung von Gott zum Heil auserwählt.<ref>Karl Barth: ''Kirchliche Dogmatik'' II/2</ref> Schon die [[Remonstranten]] argumentierten gegen die doppelte Prädestination; deren Prinzipien wurden allerdings auf der [[Dordrechter Synode]] (1618–1619) abgelehnt. [[Moyse Amyraut]] (1596–1664) milderte diese Ablehnung ab durch den ''Universalismus hypotheticus'', also ähnlich wie Luther durch die Annahme eines gnädigen Willens Gottes, alle Menschen unter der Bedingung des Glaubens selig zu machen. Dagegen wandte sich wiederum der ''[[Consensus Helveticus]]'', der in der Schweiz teilweise eingeführt wurde.<ref>{{HLS |17201 |Formula Consensus |Autor=Olivier Fatio |Datum=2007-05-01 |Zugriff=2019-06-05}}</ref>


=== Persönlicher Erfolg als Anzeichen für Prädestination ===
=== Persönlicher Erfolg als Anzeichen für Prädestination ===
Nicht nur Calvin bekundete, menschliches Handeln könne nicht ohne Gottes Gnade erfolgreich sein. Dass Calvin gleichzeitig die Notwendigkeit eigener Vorsorge für das irdische Wohl betonte,<ref>[http://www.calvin-institutio.de/display_dokument.php?elementId=2 ''Institutio Christianae religionis''], I, 16,8–9.</ref> ließ im 16. und 17. Jahrhundert in calvinistischen Kreisen das Lebensgefühl entstehen, Erfolg sei Ausdruck von Gottes Segen. Vorstellungen, aus wirtschaftlichem Erfolg auf Erden darauf schließen zu können, wem Gnade nach seinem Tode beschieden sein solle, sind kein Bestandteil der Theologie Calvins. [[Max Weber]] schrieb dem Calvinismus in seinem Aufsatz ''[[Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus]]'' von 1904/05 eine herausragende Rolle bei der Entwicklung des [[Kapitalismus]] zu.<ref>[http://www.ekd.de/calvin/wirken/calvinismus_und_kapitalismus.html Martin Eberle, ''Calvinismus und Kapitalismus''][[Evangelische Kirche in Deutschland|ekd.de]]; Frank Jehle: ''Prädestination''.</ref>
Nicht nur Calvin bekundete, menschliches Handeln könne nicht ohne Gottes Gnade erfolgreich sein. Dass Calvin gleichzeitig die Notwendigkeit eigener Vorsorge für das irdische Wohl betonte,<ref>[http://www.calvin-institutio.de/display_dokument.php?elementId=2 ''Institutio Christianae religionis''], I, 16,8–9.</ref> ließ im 16. und 17. Jahrhundert in calvinistischen Kreisen das Lebensgefühl entstehen, Erfolg sei Ausdruck von Gottes [[Segen]]. Vorstellungen, aus wirtschaftlichem Erfolg auf Erden darauf schließen zu können, wem Gnade nach seinem Tode beschieden sein solle, sind kein Bestandteil der Theologie Calvins. [[Max Weber]] schrieb dem Calvinismus in seinem Aufsatz ''[[Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus]]'' von 1904/05 eine herausragende Rolle bei der Entwicklung des [[Kapitalismus]] zu.<ref>{{Webarchiv|url=http://www.ekd.de/calvin/wirken/calvinismus_und_kapitalismus.html |wayback=20150603014349 |text=Martin Eberle, ''Calvinismus und Kapitalismus'' |archiv-bot=2019-05-08 10:06:34 InternetArchiveBot }} [[Evangelische Kirche in Deutschland|ekd.de]]; Frank Jehle: ''Prädestination''.</ref>


=== Auseinandersetzungen im Protestantismus ===
=== Auseinandersetzungen im Protestantismus ===
In der [[römisch-katholische Kirche|katholischen Kirche]] hat sich allgemein die Auffassung von einer bleibenden Entscheidungsfreiheit des Menschen gegenüber den [[Gnade]]ngaben Gottes durchgesetzt.
In der [[römisch-katholische Kirche|katholischen Kirche]] hat sich allgemein die Auffassung von einer bleibenden Entscheidungsfreiheit des Menschen gegenüber den Gnadengaben Gottes durchgesetzt.


==== Calvinistische Position ====
==== Calvinistische Position ====
[[Johannes Calvin]] kam zu der Ansicht, es gebe seit Beginn der göttlichen Schöpfung zwei Gruppen von Gläubigen: die Erwählten, die die ewige Seligkeit erlangten, und die Verworfenen, die in ewiger Verdammnis blieben. Mit der „Lehre von der doppelten Prädestination“ ''(Praedestinatio gemina)''<ref>[http://www.theologe.de/praedestinationslehre.htm ''Prädestination: Nie wurde ein grausamerer Gott erfunden als hier.''] In: Dieter Potzel (Hrsg.): ''Der Theologe'', Ausgabe Nr. 49, Fassung vom 2. Dezember 2017, abgerufen am 25. April 2018.</ref> wurde eine solche [[Vorsehung|Vorherbestimmung]] der einen zur [[Seligkeit]] und der anderen zur [[Verdammnis]] als Gottes unabänderlicher Ratschluss aufgefasst. Calvins Prädestinationslehre betonte auch, dass der Glaube an Gott ein unverdientes Geschenk sei. Gottes freie Gnadenwahl sei sein Geheimnis. Es liege also nicht an des Gläubigen Wollen oder Mühen, sondern an Gott allein, der sein Erbarmen zeige. Dessen Gnade sei ein reines, unverdientes Geschenk, einzig begründet in der freien Entscheidung Gottes. Gewissheit der Erwählung finde der Mensch nicht in sich selbst, sondern allein im Blick auf Jesus Christus {{Bibel|Röm|8–9}}. Trotz seiner Warnung davor, über Gottes Willen zu spekulieren, erlag Calvin dieser Versuchung selbst, indem er als logisches Gegenstück zur Erwählung der einen die von Gott bewusst hergeführte Verdammnis der anderen lehrte („doppelte Prädestination“ genannt).<ref>{{RGG|Auflage=3|1|1596||Calvin: Theologie|[[Otto Weber (Theologe)|Otto Weber]]}}</ref>
Für [[Johannes Calvin]] gäbe es seit Beginn der göttlichen Schöpfung zwei Gruppen innerhalb der Gläubigen, die Erwählten, die ewige Seligkeit erlangten, und die Verworfenen hingegen, die in ewiger Verdammnis blieben, persifliert [[Himmel_(Religion)#Christentum|Himmel]] oder [[Hölle]].
Es sei die Kombination aus der [[Vorsehung|Vorherbestimmung]] der einen Gruppe von Menschen zur [[Seligkeit]] und der anderen zur [[Verdammnis]], das sei Gottes unabänderlicher Ratschluss und wird auch als „Lehre von der doppelten Prädestination“, ''praedestinatio gemina'' gefasst.<ref>''Prädestination: Nie wurde ein grausamerer Gott erfunden als hier.'' Der Theologe, Herausgeber Dieter Potzel, Ausgabe Nr. 49, [http://www.theologe.de/praedestinationslehre.htm], Fassung vom 2. Dezember 2017</ref>

Calvins Prädestinationslehre betonte, dass der Glaube Gottes ein unverdientes Geschenk sei ([[sola gratia]], ''allein aus Gnade''). Gottes freie Gnadenwahl sei sein Geheimnis.
Es läge also nicht an des [[Glaube|Gläubigen]] Wollens oder Mühens, sondern an Gott allein, der sein Erbarmen zeigt, Gott zeige sein Erbarmen völlig frei von den menschlichen Voraussetzungen, seine Gnade hänge nicht von unserem menschlichen, guten Willen oder guten Werken ab, sie sei ein reines, unverdientes Geschenk, einzig begründet in der absolut freien Entscheidung Gottes.

Gewissheit der Erwählung fände der Mensch nicht in sich selbst, sondern allein im Blick auf Jesus Christus {{Bibel|Röm|8–9}}. Trotz seiner eigenen Warnung vor Spekulationen über Gottes Willen erlag Calvin dieser Versuchung selbst, indem er als logisches Gegenstück zur Erwählung der Einen die von Gott bewusst hergeführte Verdammnis der anderen lehrte („doppelte Prädestination“).<ref>[[Otto Weber (Theologe)|Otto Weber]]: Calvin: ''Theologie.'' In: ''Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG).'' 3. Auflage. Band 1, Mohr-Siebeck, Tübingen 1957, S.&nbsp;1596</ref>


Mit Luther stimmt Calvin überein, dass die Botschaft vom Heil ohne Verdienst, das in [[Jesus Christus]] dem Gläubigen zuteil wird grundlegend sei. Wie Luther betont er die Rechtfertigung allein durch den Glauben ([[sola fide]]) und nicht durch Werke. Während bei Luther jedoch Jesus Christus im Mittelpunkt der Verkündigung steht, bezieht sich Calvin dabei mehr auf die Vorstellung von Gott, dem allein Ruhm und Ehre gebührt ([[Soli Deo Gloria]] ''Gott allein sei Ehre'').
Mit Luther stimmte Calvin überein, dass die Botschaft vom Heil ohne Verdienst, das durch [[Jesus Christus]] dem Gläubigen zuteilwird, grundlegend sei. Wie Luther betont er die Rechtfertigung allein durch den Glauben ([[sola fide]]) und nicht durch [[Arbeit (Philosophie)|Werke]]. <!--Während bei Luther jedoch Jesus Christus im Mittelpunkt der Verkündigung steht, bezieht sich Calvin dabei mehr auf die Vorstellung von Gott, dem allein Ruhm und Ehre gebührt ([[Soli Deo Gloria]], „Gott allein sei Ehre“).-->


==== Lutherische Position ====
==== Lutherische Position ====
[[Martin Luther]] beruft sich auf [[1. Brief des Paulus an Timotheus]] 2,4 {{Bibel|1 Tim|2,4}}<ref>1. Timotheus 2,4 [https://www.bibleserver.com/text/EU/1.Timotheus2%2C4]</ref> „Der eine Mittler und das Heil aller Menschen“; wonach Gott wolle, das alle Menschen gerettet würden und zur Erkenntnis kämen.
[[Martin Luther]] beruft sich auf {{B|1 Tim|2|4|LUT}} „Der eine Mittler und das Heil aller Menschen“; wonach Gott wolle, dass alle Menschen gerettet würden und zur Erkenntnis kämen.
In seinem „[[De servo arbitrio]]“ (''Vom eingeschränkten Wahlvermögen'') (1525) gab er kund:
In seinem „[[De servo arbitrio]]“ ''(Vom unfreien Willen)'' (1525) gab er kund:
{{Zitat|Denn wenn wir glauben, es sei wahr, dass Gott alles vorherweiß und vorherordnet, dann kann er in seinem Vorherwissen und in seiner Vorherbestimmung weder getäuscht noch gehindert werden, dann kann auch nichts geschehen, wenn er es nicht selbst will. Das ist die Vernunft selbst gezwungen zuzugeben, die zugleich selbst bezeugt, dass es einen freien Willen weder im Menschen noch im Engel, noch in sonst einer Kreatur geben kann.}}
{{Zitat|Denn wenn wir glauben, es sei wahr, dass Gott alles vorherweiß und vorherordnet, dann kann er in seinem Vorherwissen und in seiner Vorherbestimmung weder getäuscht noch gehindert werden, dann kann auch nichts geschehen, wenn er es nicht selbst will. Das ist die Vernunft selbst gezwungen zuzugeben, die zugleich selbst bezeugt, dass es einen freien Willen weder im Menschen noch im Engel, noch in sonst einer Kreatur geben kann.}}
und weiter:
und weiter:
{{Zitat|Wenn er nämlich im Vertrauen auf sich selbst bleibt - und das tut er so lange wie er sich einbildet, er vermöge auch noch so wenig für seine Seligkeit zu tun - und nicht von Grund auf an sich verzweifelt, so demütigt er sich deswegen nicht vor Gott, sondern vermutet oder hofft oder wünscht wenigstens Gelegenheit, Zeit oder irgendein gutes Werk, dadurch er dennoch zur Seligkeit gelange. Wer aber wirklich nicht daran zweifelt, daß alles vom Willen Gottes abhänge, der verzweifelt völlig an sich selbst, wählt nichts eigenes, sondern erwartet den alles wirkenden Gott. Der ist am nächsten der Gnade und der Seligkeit. Martin Luther: ''De servo arbitrio'' Weimarer Ausgabe Nr. 18. S.&nbsp;632 und <ref>Übersetzung von „De servo arbitrio“ heiligenlexikon.de, abgerufen am 24. Januar 2018.[https://www.heiligenlexikon.de/Literatur/Martin_Luther_unfreier_Willen.htm]</ref>}}
{{Zitat|Wenn er nämlich im Vertrauen auf sich selbst bleibt und das tut er so lange wie er sich einbildet, er vermöge auch noch so wenig für seine Seligkeit zu tun und nicht von Grund auf an sich verzweifelt, so demütigt er sich deswegen nicht vor Gott, sondern vermutet oder hofft oder wünscht wenigstens Gelegenheit, Zeit oder irgendein gutes Werk, dadurch er dennoch zur Seligkeit gelange. Wer aber wirklich nicht daran zweifelt, daß alles vom Willen Gottes abhänge, der verzweifelt völlig an sich selbst, wählt nichts eigenes, sondern erwartet den alles wirkenden Gott. Der ist am nächsten der Gnade und der Seligkeit. |Autor=Martin Luther |Quelle=''De servo arbitrio'', Weimarer Ausgabe Nr.&nbsp;18, S.&nbsp;632 und |ref=<ref>Übersetzung von „De servo arbitrio“ heiligenlexikon.de, abgerufen am 24. Januar 2018. [https://www.heiligenlexikon.de/Literatur/Martin_Luther_unfreier_Willen.htm]</ref>}}


Diese Schrift entstand in der Auseinandersetzung mit den Ideen des [[Erasmus von Rotterdam]] und dessen Schrift „[[De libero arbitrio (Erasmus von Rotterdam)|De libero arbitrio]]“ (1524). Das Thema der lutherischen Schrift war es, eine Lösung für die wiederholt diskutierte Fragestellung des (reformatorisch) christlichen Denkens anzubieten, ob der Mensch nach dem [[Sündenfall]] die Freiheit behalten habe, sich aus eigener Kraft für die göttliche Gnade zu entscheiden, oder ob diese Entscheidung selbst bereits Geschenk der Gnade sei. Gegen die Position des [[Renaissance-Humanismus|Humanismus]] betont Luther vehement die Alleinwirksamkeit der [[Gnade]]. Er bestritt ganz entschieden, dass der Mensch bezüglich des Willens Gottes einen [[Freier Wille|freien Willen]] habe, also gegenüber dem, was [[Heil]] bewirkt. Über ewiges Heil oder ewige [[Verdammnis]] entscheide allein der souveräne Wille Gottes.
Diese Schrift entstand in der Auseinandersetzung mit den Ideen des [[Erasmus von Rotterdam]] und dessen Schrift „[[De libero arbitrio (Erasmus von Rotterdam)|De libero arbitrio]]“ (Vom freien Willen) (1524). Das Thema der lutherischen Schrift war es, eine Lösung für die wiederholt diskutierte Fragestellung des (reformatorisch) christlichen Denkens anzubieten, ob der Mensch nach dem [[Sündenfall]] die [[Freiheit]] behalten habe, sich aus eigener Kraft für die göttliche Gnade zu entscheiden, oder ob diese Entscheidung selbst bereits Geschenk der Gnade sei. Gegen die Position des [[Renaissance-Humanismus|Humanismus]] betont Luther vehement die Alleinwirksamkeit der Gnade. Er bestritt ganz entschieden, dass der Mensch bezüglich des Willens Gottes einen [[Freier Wille|freien Willen]] habe, also gegenüber dem, was [[Heil]] bewirkt. Über ewiges Heil oder ewige [[Verdammnis]] entscheide allein der souveräne Wille Gottes.


Martin Luther setzte dem in seiner [[Rechtfertigungslehre]] also die allumfassende göttliche Gnade ([[sola gratia]], ''allein aus Gnade'') entgegen: Durch den Kreuzestod Jesu sei jeder Gläubige durch Gottes ''Gnade allein'' (sola gratia) errettet, unabhängig von seinen Taten.<ref>Hubert Cancik, Burkhard Gladigow, Matthias Samuel Laubscher (Hrsg.): ''Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe.'' Bd. 4, W. Kohlhammer, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1998, ISBN 3-17-009553-6, S.&nbsp;337 f. </ref>
Martin Luther setzte dem in seiner [[Rechtfertigungslehre]] also die allumfassende göttliche Gnade ([[sola gratia]], ''allein aus Gnade'') entgegen: Durch den [[Passion Jesu|Kreuzestod Jesu]] sei jeder Gläubige durch Gottes ''Gnade allein'' (sola gratia) errettet, unabhängig von seinen Taten.<ref>Hubert Cancik, Burkhard Gladigow, Matthias Samuel Laubscher (Hrsg.): ''Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe.'' Bd.&nbsp;4, W.&nbsp;Kohlhammer, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1998, ISBN 3-17-009553-6, S.&nbsp;337&nbsp;f.</ref>


Indem nach der Vorstellung der Reformatoren Gott die Handlungen der Menschen unbemerkt durch deren innere Motivation steuert und nicht durch äußeren Zwang, ist der Gläubige doch wieder aufgefordert, seine Entscheidungen verantwortungsvoll zu treffen. Zu dieser [[Freiheit des Christenmenschen]] gehörten auch die großen Bibelübersetzungen, die den einfachen Gläubigen ermöglichen sollten, Einsicht in das „Wort Gottes“ zu gewinnen.
Indem nach der Vorstellung der Reformatoren Gott die Handlungen der Menschen unbemerkt durch deren innere Motivation steuert und nicht durch äußeren Zwang, ist der Gläubige doch wieder aufgefordert, seine Entscheidungen verantwortungsvoll zu treffen. Zu dieser [[Freiheit des Christenmenschen]] gehörten auch die großen [[Bibelübersetzung]]en, die den einfachen Gläubigen ermöglichen sollten, Einsicht in das „[[Wort Gottes]]“ zu gewinnen.


1973 formulierten die reformierten und lutherischen Kirchen ein gemeinsames Prädestinationsverständnis in der [[Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa#Leuenberger Konkordie|Leuenberger Konkordie]], Art. 24f.:
1973 formulierten die reformierten und lutherischen Kirchen ein gemeinsames Prädestinationsverständnis in der [[Leuenberger Konkordie]], Art. 24f.:
{{Zitat|Im Evangelium wird die bedingungslose Annahme des sündigen Menschen durch Gott verheißen. Wer darauf vertraut, darf des Heils gewiß sein und Gottes Erwählung preisen. Über die Erwählung kann deshalb nur im Blick auf die Berufung zum Heil in Christus gesprochen werden. Der Glaube macht zwar die Erfahrung, daß die Heilsbotschaft nicht von allen angenommen wird, er achtet jedoch das Geheimnis von Gottes Wirken. Er bezeugt zugleich den Ernst menschlicher Entscheidung wie die Realität des universalen Heilswillens Gottes. Das Christuszeugnis der Schrift verwehrt uns, einen ewigen Ratschluß Gottes zur definitiven Verwerfung gewisser Personen oder eines Volkes anzunehmen.}}
{{Zitat|Im [[Evangelium (Glaube)|Evangelium]] wird die bedingungslose Annahme des sündigen Menschen durch Gott verheißen. Wer darauf vertraut, darf des Heils gewiß sein und Gottes Erwählung preisen. Über die Erwählung kann deshalb nur im Blick auf die [[Berufung (Religion)|Berufung]] zum Heil in Christus gesprochen werden. Der Glaube macht zwar die Erfahrung, daß die Heilsbotschaft nicht von allen angenommen wird, er achtet jedoch das Geheimnis von Gottes Wirken. Er bezeugt zugleich den Ernst menschlicher Entscheidung wie die Realität des universalen Heilswillens Gottes. Das Christuszeugnis der Schrift verwehrt uns, einen ewigen Ratschluß Gottes zur definitiven Verwerfung gewisser Personen oder eines Volkes anzunehmen.}}


Unter Hinweis auf den „universalen Heilswillen Gottes“ lehnen viele Christen die Prädestinationslehre grundsätzlich ab. Dabei werden vor allem folgende Aussagen des Neuen Testaments herangezogen: „Der Herr&nbsp;[…] will nicht, dass jemand zugrunde geht, sondern dass alle sich bekehren“ {{Bibel|2 Petr|3|9}}, „Gott&nbsp;[…] will, dass alle Menschen gerettet werden“ {{Bibel|1 Tim|2|4}}, „die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten“ {{Bibel|Tit|2|11}}, Jesus: „geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ {{Bibel|Mt|28|19}}.<ref>Streitenberger: ''Die fünf Punkte des Calvinismus'', 2011.</ref>
Unter Hinweis auf den „universalen Heilswillen Gottes“ lehnen viele Christen die Prädestinationslehre grundsätzlich ab. Dabei werden vor allem folgende Aussagen des Neuen Testaments herangezogen: „Der Herr&nbsp;[…] will nicht, dass jemand zugrunde geht, sondern dass alle sich bekehren“ {{Bibel|2 Petr|3|9}}, „Gott&nbsp;[…] will, dass alle Menschen gerettet werden“ {{Bibel|1 Tim|2|4}}, „die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten“ {{Bibel|Tit|2|11}}, Jesus: „geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ {{Bibel|Mt|28|19}}.<ref>Streitenberger: ''Die fünf Punkte des Calvinismus'', 2011.</ref>


Auf der anderen Seite können Calvinisten eine Reihe von Bibelstellen heranziehen, in denen von der „Erwählung“ gesprochen wird. Diese Erwählung versteht [[Franz Graf-Stuhlhofer]] „kollektiv, nicht individuell“; demnach habe Gott sich dazu entschlossen, seine Pläne mit einer Gruppe oder einem „Überrest“ weiterzuverfolgen, wobei der Eintritt in diese Gruppe eine individuelle Entscheidung sei.<ref>Franz Graf-Stuhlhofer: ''Warum Christen verschiedener Meinung sind'', Vorwort zu Streitenberger: ''Die fünf Punkte des Calvinismus'', 2011, S. 10f.</ref> Graf-Stuhlhofer verweist auf das Herausführen des erwählten Volkes Israel aus Ägypten: Die (kollektive) Erwählung blieb bestehen, trotz des Ungehorsams vieler Angehöriger des Volkes, aber ins verheißene Land gelangten die ursprünglich angesprochenen Individuen nicht.
Auf der anderen Seite können Calvinisten eine Reihe von Bibelstellen heranziehen, in denen von der „Erwählung“ gesprochen wird. Diese Erwählung versteht [[Franz Graf-Stuhlhofer]] „kollektiv, nicht individuell“; demnach habe Gott sich dazu entschlossen, seine Pläne mit einer Gruppe oder einem „Überrest“ weiterzuverfolgen, wobei der Eintritt in diese Gruppe eine individuelle Entscheidung sei.<ref>Franz Graf-Stuhlhofer: ''Warum Christen verschiedener Meinung sind'', Vorwort zu Streitenberger: ''Die fünf Punkte des Calvinismus'', 2011, S. 10f.</ref> Graf-Stuhlhofer verweist auf das [[Auszug aus Ägypten|Herausführen des erwählten Volkes Israel aus Ägypten]]: Die (kollektive) Erwählung blieb bestehen, trotz des Ungehorsams vieler Angehöriger des Volkes, aber ins [[Gelobtes Land|verheißene Land]] gelangten die ursprünglich angesprochenen Individuen nicht.


== Islam ==
== Islam ==
Diskussionen über die Frage der Prädestination kamen im Bereich des Islams etwa um die Wende zum 8. Jahrhundert auf. Der arabische Begriff, unter dem die Frage der Prädestination diskutiert wurde, war [[Qadar]]. Er bezeichnet allgemein einen Akt der Festlegung. Als Verb wird diese Wurzel im Koran vor allem auf Gott angewandt: Er ist es, der Maßnahmen bestimmt, die in das Schicksal des Menschen eingreifen: Schon bei der Schaffung der Welt hat er für jeden den Vorrat an Lebensmitteln ein für alle Mal festgelegt ([[Sure 41]]:10); er hat die Mondstationen festgelegt (Sure 36:39) usw.<ref>Vgl. Nagel: ''Geschichte der islamischen Theologie'', 1994, S. 45.</ref> In diesem Sinne bezeichnet ''qadar'' die göttliche Prädestination. Der Begriff ''qadar'' war allerdings zweideutig, denn einige Gruppen wie die [[Qadarīya|Qadariten]] erkannten dem Menschen einen eigenen ''qadar'' zu. Sie erscheinen damit als Vertreter einer Lehre menschlicher Willensfreiheit. Allerdings ging es den Qadariten nicht so sehr um die Willensfreiheit, sondern um die Eigenverantwortlichkeit der Menschen für ihr Tun. Niemand sollte seine Sünden mit der Behauptung rechtfertigen können, dass er dazu gezwungen sei, weil Gott die Sünden vorherbestimmt habe.
Diskussionen über die Frage der Prädestination kamen im Bereich des Islams etwa um die Wende zum 8. Jahrhundert auf. Der arabische Begriff, unter dem die Frage der Prädestination diskutiert wurde, war [[Qadar]]. Er bezeichnet allgemein einen Akt der Festlegung. Als Verb wird diese Wurzel im Koran vor allem auf Gott angewandt: Er ist es, der Maßnahmen bestimmt, die in das Schicksal des Menschen eingreifen: Schon bei der Schaffung der Welt hat er für jeden den Vorrat an Lebensmitteln ein für alle Mal festgelegt ([[Sure 41]]:10); er hat die Mondstationen festgelegt (Sure 36:39) usw.<ref>Vgl. Nagel: ''Geschichte der islamischen Theologie'', 1994, S. 45.</ref> In diesem Sinne bezeichnet ''qadar'' die göttliche Prädestination. Der Begriff ''qadar'' war allerdings zweideutig, denn einige Gruppen wie die [[Qadarīya|Qadariten]] erkannten dem Menschen einen eigenen ''qadar'' zu. Sie erscheinen damit als Vertreter einer Lehre menschlicher Willensfreiheit. Allerdings ging es den Qadariten nicht so sehr um die Willensfreiheit, sondern um die [[Eigenverantwortung|Eigenverantwortlichkeit]] der Menschen für ihr Tun. Niemand sollte seine Sünden mit der Behauptung rechtfertigen können, dass er dazu gezwungen sei, weil Gott die Sünden vorherbestimmt habe.


Muslime, die in späterer Zeit die Frage der Prädestination behandelten, taten dies häufig unter Berufung auf den Prediger [[al-Hasan al-Basri]] (†&nbsp;728). Er wurde sowohl von den Vertretern prädestinatianischer Lehren als auch von ihren Gegnern als Autorität jeweils für die eigene Position in Anspruch genommen.<ref>Suleiman Ali Mourad: ''Early Islam between Myth and History. Al-Ḥasan al-Baṣrī (d 110H/728CE) and the Formation of his Legacy in Classical Islamic Scholarship.'' Brill, Leiden 2006, S. 3.</ref> Zu den arabischen Werken aus klassischer Zeit, die sich speziell mit der Frage der Prädestination befassen, gehören das „Buch der Prädestination“ (''Kitāb al-Qadar'') von al-Firyābī (†&nbsp;913) und das Buch „Vorsehung und Prädestination“ (''al-Qaḍāʾ wa-l-qadar'') von [[Fachr ad-Din ar-Razi]] (†&nbsp;1209).
Muslime, die in späterer Zeit die Frage der Prädestination behandelten, taten dies häufig unter Berufung auf den Prediger [[al-Hasan al-Basri]] (†&nbsp;728). Er wurde sowohl von den Vertretern prädestinatianischer Lehren als auch von ihren Gegnern als Autorität jeweils für die eigene Position in Anspruch genommen.<ref>Suleiman Ali Mourad: ''Early Islam between Myth and History. Al-Ḥasan al-Baṣrī (d 110H/728CE) and the Formation of his Legacy in Classical Islamic Scholarship.'' Brill, Leiden 2006, S. 3.</ref> Zu den arabischen Werken aus klassischer Zeit, die sich speziell mit der Frage der Prädestination befassen, gehören das „Buch der Prädestination“ ''(Kitāb al-Qadar)'' von al-Firyābī (†&nbsp;913) und das Buch „Vorsehung und Prädestination“ ''(al-Qaḍāʾ wa-l-qadar)'' von [[Fachr ad-Din ar-Razi]] (†&nbsp;1209).


== Literatur ==
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* Robert Brunschvig: ''Devoir and Pouvoir: Histoire d’un Problème de Théologie Musulmane''. In: ''Studia Islamica.'' 20 (1964), S. 5–46.
* Robert Brunschvig: ''Devoir and Pouvoir: Histoire d’un Problème de Théologie Musulmane''. In: ''Studia Islamica.'' 20 (1964), S. 5–46.
* D.V. Frolov: ''Freedom and Predestination''. In: Jane Dammen McAuliffe (Hrsg.): ''The Encyclopaedia of the Qur’an.'' Band 2, Georgetown University, Washington D.C. / Brill, Leiden 2002.
* D.V. Frolov: ''Freedom and Predestination''. In: Jane Dammen McAuliffe (Hrsg.): ''The Encyclopaedia of the Qur’an.'' Band 2, Georgetown University, Washington D.C. / Brill, Leiden 2002.
* Heikki Räisänen: ''Doppelte Prädestination im Koran und im Neuen Testament?'' In: Hansjörg Schmid, Andreas Renz, Jutta Sperber (Hrsg.): [http://www.akademie-rs.de/1307.html Heil in Christentum und Islam. Erlösung oder Rechtleitung?] [[Theologisches Forum Christentum – Islam]], Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Stuttgart 2004, ISBN 3-926297-93-X, S. 139–160.
* Heikki Räisänen: ''Doppelte Prädestination im Koran und im Neuen Testament?'' In: [[Hansjörg Schmid]], Andreas Renz, Jutta Sperber (Hrsg.): [https://www.theologisches-forum.de/heil-in-christentum-und-islam-erloesung-oder-rechtleitung/ Heil in Christentum und Islam. Erlösung oder Rechtleitung?] ([[Theologisches Forum Christentum – Islam]]), Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Stuttgart 2004, ISBN 3-926297-93-X, S. 139–160.
* Peter Streitenberger: ''Die fünf Punkte des Calvinismus aus biblischer Perspektive.'' Verlag für Theologie und Religionswissenschaft, Nürnberg 2011.
* Peter Streitenberger: ''Die fünf Punkte des Calvinismus aus biblischer Perspektive.'' Verlag für Theologie und Religionswissenschaft, Nürnberg 2011.
* [[Josef van Ess]]: ''Zwischen Ḥadīṯ und Theologie: Studien zum Entstehen prädestinatianischer Überlieferung'' (= ''Studien zur Sprache, Geschichte und Kultur des islamischen Orients'', N.F. Band 7). de Gruyter, Berlin u. a. 1975, ISBN 3-11-004290-8.
* [[Josef van Ess]]: ''Zwischen Ḥadīṯ und Theologie: Studien zum Entstehen prädestinatianischer Überlieferung'' (=&nbsp;''Studien zur Sprache, Geschichte und Kultur des islamischen Orients'', N.F. Band 7). de Gruyter, Berlin u.&nbsp;a. 1975, ISBN 3-11-004290-8.
* [[Tilman Nagel]]: ''Geschichte der islamischen Theologie von Mohammed bis zur Gegenwart''. München 1994, S. 43–49, ISBN 3-406-37981-8.
* [[Tilman Nagel]]: ''Geschichte der islamischen Theologie von Mohammed bis zur Gegenwart''. München 1994, ISBN 3-406-37981-8, S.&nbsp;43–49.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
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* Evangelische Fernbibliothek (CH): [http://www.evangelium.ch/predestination.htm ''Prädestination und Ewigkeit'']
* Evangelische Fernbibliothek (CH): [http://www.evangelium.ch/predestination.htm ''Prädestination und Ewigkeit'']
* Ch. Scheidegger: [http://www.zh.ref.ch/a-z/zwingli/lexikon-c ''Zwingli und Calvin''.] [[Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich]], 6. März 2001
* Ch. Scheidegger: [http://www.zh.ref.ch/a-z/zwingli/lexikon-c ''Zwingli und Calvin''.] [[Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich]], 6. März 2001
* Frank Jehle:{{Anker|Jehle}} [http://www.reformiert-info.de/1745-0-56-3.html ''Prädestination – reformiertes „Zentraldogma“?''] reformiert-info.de (geht auch auf [[Max Weber]] ein)
* [[Frank Jehle]]:{{Anker|Jehle}} [http://www.reformiert-info.de/1745-0-56-3.html ''Prädestination – reformiertes „Zentraldogma“?''] reformiert-info.de (geht auch kritisch auf [[Max Weber]] ein)
* Joachim Schäfer: [https://www.heiligenlexikon.de/Glossar/Praedestination.html ''Einfache Prädestination/Doppelte Prädestination''.] [[Ökumenisches Heiligenlexikon|heiligenlexikon.de]], 2014
* Joachim Schäfer: [https://www.heiligenlexikon.de/Glossar/Praedestination.html ''Einfache Prädestination/Doppelte Prädestination''.] [[Ökumenisches Heiligenlexikon|heiligenlexikon.de]], 2014
* {{SEP|https://plato.stanford.edu/entries/free-will-foreknowledge/ |Foreknowledge and Free Will|Linda Zagzebski, Linda|2021}}
* {{IEP|https://iep.utm.edu/omnisci/|Omniscience and Divine Foreknowledge|Tully Borland}}
* {{IEP|https://iep.utm.edu/foreknow/|Foreknowledge and Free Will|Norman Swartz}}


== Einzelbelege ==
== Einzelbelege ==

Aktuelle Version vom 2. März 2024, 18:11 Uhr

Prädestination (lateinisch praedestinatio) bedeutet Vorherbestimmung und ist ein theologisches Konzept, dem zufolge Gott von Anfang an das Schicksal der Menschen vorherbestimmt hat.[1] Insbesondere geht es dabei um eine Erwählung einzelner Seelen zum ewigen Leben oder zu ewiger Verdammnis. Hintergrund stellt die menschliche Annahme dar, dass Gott über ihn als Gattungswesen erhaben und jenseitig sei. Der Schöpfer sei von seiner Schöpfung qualitativ abgehoben, Gott stehe über der Wirklichkeit der Schöpfung, selbst in Jesus und dem Abendmahl, wo er sich mit diesem verbände. Die Niedrigkeit des Menschen vor dem erhabenen Gott kommt auch durch die Lehre von der Prädestination zum Ausdruck. Das Heil erlangt, wer von Gott zum Heil vorherbestimmt ist.

Christentum[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das einflussreiche Konzept des Augustinus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Prädestinationslehre des Kirchenvaters Augustinus ist im Wesentlichen in den Schriften De gratia et libero arbitrio sowie De correptione et gratia um das Jahr 427 ausgeführt und entstand in der Auseinandersetzung mit dem Manichäismus sowie dem Pelagianismus. Ausgangspunkt ist Augustinus’ Aufspüren des Willens in einer Person. Siehe zur augustinischen Einschätzung der Willensfreiheit auch sein Werk De libero arbitrio.

Dieser Wille schließt besonders auch die Triebe und Affekte ein, die der Mensch in seinem Geist dem göttlichen Gesetz angleichen soll.[2] Für Pelagius und seine Anhänger hat der Mensch eine Lernfähigkeit durch das von Gott gesandte Gesetz. Für Augustinus dagegen ist der Mensch durch den Sündenfall in der daraus erwachsenen Erbsünde verfangen und unfähig, das Gute zu wollen. Nur Gott könne den auf die Gnade angewiesenen Menschen befreien.[3] Der Unterschied zwischen Pelagius und Augustinus wird durch die Auseinandersetzungen um die Kindertaufe besonders deutlich.

Bei den christlichen Autoren von der Spätantike bis in die frühe Neuzeit hat der Begriff freier Wille noch nicht oder nicht nur den modernen philosophischen, psychologischen und strafrechtlichen Sinn. Stattdessen geht es immer auch um die Fähigkeit zum Guten oder zum Bösen des zunächst als Ebenbild Gottes erschaffenen, dann aber vom Teufel verführten Menschen.

Augustinus’ Konzeption, in der Gott erwählt und die Anzahl der Geretteten an der ewigen Gemeinschaft festlegt, bleibt durch die polemisch geführten Streitschriften mehrdeutig, so dass sie später von unterschiedlichen Richtungen genutzt werden konnte: im Mittelalter von dem Kirchenlehrer Thomas von Aquin und in der Reformation von Luther und Calvin.[4]

Präszienz (Vorherwissen)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Mittelalter wird eine abgeschwächte Version der Prädestinationslehre diskutiert, in der es nur um das Vorherwissen (Präszienz) Gottes geht: Der Mensch hat den vollen freien Handlungsspielraum, aber Gott sieht aufgrund seiner Allwissenheit voraus, was er tun wird. Es wird zwischen der intellektuellen und der voluntativen Präszienz unterschieden.[5]

Doppelte Prädestination[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von Augustin bis zu den Reformatoren wurde die Lehre einer doppelten Prädestination entwickelt: Manche Menschen würden durch die Gnade Gottes zum ewigen Leben bestimmt, andere von Gott getrennt. Die Grundlage war ein absolutum decretum (das heißt, ein Ratschluss, der unabhängig von Verdienst oder Schuld des Menschen ergeht).[6] Dieser Ansicht widerspricht besonders Karl Barth (1886–1968) mit der Lehre von Gottes Gnadenwahl: Eine Verwerfung oder Verdammnis durch Gott gebe es nicht. Alle Menschen seien vielmehr durch Christi Leiden und Auferstehung von Gott zum Heil auserwählt.[7] Schon die Remonstranten argumentierten gegen die doppelte Prädestination; deren Prinzipien wurden allerdings auf der Dordrechter Synode (1618–1619) abgelehnt. Moyse Amyraut (1596–1664) milderte diese Ablehnung ab durch den Universalismus hypotheticus, also ähnlich wie Luther durch die Annahme eines gnädigen Willens Gottes, alle Menschen unter der Bedingung des Glaubens selig zu machen. Dagegen wandte sich wiederum der Consensus Helveticus, der in der Schweiz teilweise eingeführt wurde.[8]

Persönlicher Erfolg als Anzeichen für Prädestination[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nicht nur Calvin bekundete, menschliches Handeln könne nicht ohne Gottes Gnade erfolgreich sein. Dass Calvin gleichzeitig die Notwendigkeit eigener Vorsorge für das irdische Wohl betonte,[9] ließ im 16. und 17. Jahrhundert in calvinistischen Kreisen das Lebensgefühl entstehen, Erfolg sei Ausdruck von Gottes Segen. Vorstellungen, aus wirtschaftlichem Erfolg auf Erden darauf schließen zu können, wem Gnade nach seinem Tode beschieden sein solle, sind kein Bestandteil der Theologie Calvins. Max Weber schrieb dem Calvinismus in seinem Aufsatz Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus von 1904/05 eine herausragende Rolle bei der Entwicklung des Kapitalismus zu.[10]

Auseinandersetzungen im Protestantismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der katholischen Kirche hat sich allgemein die Auffassung von einer bleibenden Entscheidungsfreiheit des Menschen gegenüber den Gnadengaben Gottes durchgesetzt.

Calvinistische Position[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Johannes Calvin kam zu der Ansicht, es gebe seit Beginn der göttlichen Schöpfung zwei Gruppen von Gläubigen: die Erwählten, die die ewige Seligkeit erlangten, und die Verworfenen, die in ewiger Verdammnis blieben. Mit der „Lehre von der doppelten Prädestination“ (Praedestinatio gemina)[11] wurde eine solche Vorherbestimmung der einen zur Seligkeit und der anderen zur Verdammnis als Gottes unabänderlicher Ratschluss aufgefasst. Calvins Prädestinationslehre betonte auch, dass der Glaube an Gott ein unverdientes Geschenk sei. Gottes freie Gnadenwahl sei sein Geheimnis. Es liege also nicht an des Gläubigen Wollen oder Mühen, sondern an Gott allein, der sein Erbarmen zeige. Dessen Gnade sei ein reines, unverdientes Geschenk, einzig begründet in der freien Entscheidung Gottes. Gewissheit der Erwählung finde der Mensch nicht in sich selbst, sondern allein im Blick auf Jesus Christus (Röm 8–9 EU). Trotz seiner Warnung davor, über Gottes Willen zu spekulieren, erlag Calvin dieser Versuchung selbst, indem er als logisches Gegenstück zur Erwählung der einen die von Gott bewusst hergeführte Verdammnis der anderen lehrte („doppelte Prädestination“ genannt).[12]

Mit Luther stimmte Calvin überein, dass die Botschaft vom Heil ohne Verdienst, das durch Jesus Christus dem Gläubigen zuteilwird, grundlegend sei. Wie Luther betont er die Rechtfertigung allein durch den Glauben (sola fide) und nicht durch Werke.

Lutherische Position[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Martin Luther beruft sich auf 1 Tim 2,4 LUT „Der eine Mittler und das Heil aller Menschen“; wonach Gott wolle, dass alle Menschen gerettet würden und zur Erkenntnis kämen. In seinem „De servo arbitrio(Vom unfreien Willen) (1525) gab er kund:

„Denn wenn wir glauben, es sei wahr, dass Gott alles vorherweiß und vorherordnet, dann kann er in seinem Vorherwissen und in seiner Vorherbestimmung weder getäuscht noch gehindert werden, dann kann auch nichts geschehen, wenn er es nicht selbst will. Das ist die Vernunft selbst gezwungen zuzugeben, die zugleich selbst bezeugt, dass es einen freien Willen weder im Menschen noch im Engel, noch in sonst einer Kreatur geben kann.“

und weiter:

„Wenn er nämlich im Vertrauen auf sich selbst bleibt – und das tut er so lange wie er sich einbildet, er vermöge auch noch so wenig für seine Seligkeit zu tun – und nicht von Grund auf an sich verzweifelt, so demütigt er sich deswegen nicht vor Gott, sondern vermutet oder hofft oder wünscht wenigstens Gelegenheit, Zeit oder irgendein gutes Werk, dadurch er dennoch zur Seligkeit gelange. Wer aber wirklich nicht daran zweifelt, daß alles vom Willen Gottes abhänge, der verzweifelt völlig an sich selbst, wählt nichts eigenes, sondern erwartet den alles wirkenden Gott. Der ist am nächsten der Gnade und der Seligkeit.“

Martin Luther: De servo arbitrio, Weimarer Ausgabe Nr. 18, S. 632 und[13]

Diese Schrift entstand in der Auseinandersetzung mit den Ideen des Erasmus von Rotterdam und dessen Schrift „De libero arbitrio“ (Vom freien Willen) (1524). Das Thema der lutherischen Schrift war es, eine Lösung für die wiederholt diskutierte Fragestellung des (reformatorisch) christlichen Denkens anzubieten, ob der Mensch nach dem Sündenfall die Freiheit behalten habe, sich aus eigener Kraft für die göttliche Gnade zu entscheiden, oder ob diese Entscheidung selbst bereits Geschenk der Gnade sei. Gegen die Position des Humanismus betont Luther vehement die Alleinwirksamkeit der Gnade. Er bestritt ganz entschieden, dass der Mensch bezüglich des Willens Gottes einen freien Willen habe, also gegenüber dem, was Heil bewirkt. Über ewiges Heil oder ewige Verdammnis entscheide allein der souveräne Wille Gottes.

Martin Luther setzte dem in seiner Rechtfertigungslehre also die allumfassende göttliche Gnade (sola gratia, allein aus Gnade) entgegen: Durch den Kreuzestod Jesu sei jeder Gläubige durch Gottes Gnade allein (sola gratia) errettet, unabhängig von seinen Taten.[14]

Indem nach der Vorstellung der Reformatoren Gott die Handlungen der Menschen unbemerkt durch deren innere Motivation steuert und nicht durch äußeren Zwang, ist der Gläubige doch wieder aufgefordert, seine Entscheidungen verantwortungsvoll zu treffen. Zu dieser Freiheit des Christenmenschen gehörten auch die großen Bibelübersetzungen, die den einfachen Gläubigen ermöglichen sollten, Einsicht in das „Wort Gottes“ zu gewinnen.

1973 formulierten die reformierten und lutherischen Kirchen ein gemeinsames Prädestinationsverständnis in der Leuenberger Konkordie, Art. 24f.:

„Im Evangelium wird die bedingungslose Annahme des sündigen Menschen durch Gott verheißen. Wer darauf vertraut, darf des Heils gewiß sein und Gottes Erwählung preisen. Über die Erwählung kann deshalb nur im Blick auf die Berufung zum Heil in Christus gesprochen werden. Der Glaube macht zwar die Erfahrung, daß die Heilsbotschaft nicht von allen angenommen wird, er achtet jedoch das Geheimnis von Gottes Wirken. Er bezeugt zugleich den Ernst menschlicher Entscheidung wie die Realität des universalen Heilswillens Gottes. Das Christuszeugnis der Schrift verwehrt uns, einen ewigen Ratschluß Gottes zur definitiven Verwerfung gewisser Personen oder eines Volkes anzunehmen.“

Unter Hinweis auf den „universalen Heilswillen Gottes“ lehnen viele Christen die Prädestinationslehre grundsätzlich ab. Dabei werden vor allem folgende Aussagen des Neuen Testaments herangezogen: „Der Herr […] will nicht, dass jemand zugrunde geht, sondern dass alle sich bekehren“ (2 Petr 3,9 EU), „Gott […] will, dass alle Menschen gerettet werden“ (1 Tim 2,4 EU), „die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten“ (Tit 2,11 EU), Jesus: „geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,19 EU).[15]

Auf der anderen Seite können Calvinisten eine Reihe von Bibelstellen heranziehen, in denen von der „Erwählung“ gesprochen wird. Diese Erwählung versteht Franz Graf-Stuhlhofer „kollektiv, nicht individuell“; demnach habe Gott sich dazu entschlossen, seine Pläne mit einer Gruppe oder einem „Überrest“ weiterzuverfolgen, wobei der Eintritt in diese Gruppe eine individuelle Entscheidung sei.[16] Graf-Stuhlhofer verweist auf das Herausführen des erwählten Volkes Israel aus Ägypten: Die (kollektive) Erwählung blieb bestehen, trotz des Ungehorsams vieler Angehöriger des Volkes, aber ins verheißene Land gelangten die ursprünglich angesprochenen Individuen nicht.

Islam[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diskussionen über die Frage der Prädestination kamen im Bereich des Islams etwa um die Wende zum 8. Jahrhundert auf. Der arabische Begriff, unter dem die Frage der Prädestination diskutiert wurde, war Qadar. Er bezeichnet allgemein einen Akt der Festlegung. Als Verb wird diese Wurzel im Koran vor allem auf Gott angewandt: Er ist es, der Maßnahmen bestimmt, die in das Schicksal des Menschen eingreifen: Schon bei der Schaffung der Welt hat er für jeden den Vorrat an Lebensmitteln ein für alle Mal festgelegt (Sure 41:10); er hat die Mondstationen festgelegt (Sure 36:39) usw.[17] In diesem Sinne bezeichnet qadar die göttliche Prädestination. Der Begriff qadar war allerdings zweideutig, denn einige Gruppen wie die Qadariten erkannten dem Menschen einen eigenen qadar zu. Sie erscheinen damit als Vertreter einer Lehre menschlicher Willensfreiheit. Allerdings ging es den Qadariten nicht so sehr um die Willensfreiheit, sondern um die Eigenverantwortlichkeit der Menschen für ihr Tun. Niemand sollte seine Sünden mit der Behauptung rechtfertigen können, dass er dazu gezwungen sei, weil Gott die Sünden vorherbestimmt habe.

Muslime, die in späterer Zeit die Frage der Prädestination behandelten, taten dies häufig unter Berufung auf den Prediger al-Hasan al-Basri († 728). Er wurde sowohl von den Vertretern prädestinatianischer Lehren als auch von ihren Gegnern als Autorität jeweils für die eigene Position in Anspruch genommen.[18] Zu den arabischen Werken aus klassischer Zeit, die sich speziell mit der Frage der Prädestination befassen, gehören das „Buch der Prädestination“ (Kitāb al-Qadar) von al-Firyābī († 913) und das Buch „Vorsehung und Prädestination“ (al-Qaḍāʾ wa-l-qadar) von Fachr ad-Din ar-Razi († 1209).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wiktionary: Prädestination – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelbelege[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Minho Kim: Die umstrittene Prädestinationslehre: Luther – Calvin – Barth. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, ISBN 978-3-7887-2656-0.
  2. Markus Vincent: Augustinus. In: Metzler Lexikon Christliche Denker, Metzler 2000, S. 53f
  3. Markus Vincent: Augustinus. In: Metzler Lexikon Christliche Denker, Metzler 2000, S. 54.
  4. Eckard König, Thomas Rentsch: Augustinus, Aurelius. In: Jürgen Mittelstraß: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Zweite Auflage. Band 1, Metzler 2005, ISBN 978-3-476-01372-9, S. 293–240.
  5. Thomas Rentsch: Prädestination. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 3. Metzler, Stuttgart/Weimar 1996, S. 308f.
  6. Vergleiche etwa bei Johannes Calvin: Institutio christianae religionis III, 21.5; in: Opera selecta, hg. von Peter Barth und Wilhelm Niesel, 2. Auflage, München 1959.
  7. Karl Barth: Kirchliche Dogmatik II/2
  8. Olivier Fatio: Formula Consensus. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 1. Mai 2007, abgerufen am 5. Juni 2019.
  9. Institutio Christianae religionis, I, 16,8–9.
  10. Martin Eberle, Calvinismus und Kapitalismus (Memento des Originals vom 3. Juni 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ekd.de ekd.de; Frank Jehle: Prädestination.
  11. Prädestination: Nie wurde ein grausamerer Gott erfunden als hier. In: Dieter Potzel (Hrsg.): Der Theologe, Ausgabe Nr. 49, Fassung vom 2. Dezember 2017, abgerufen am 25. April 2018.
  12. Otto WeberCalvin: Theologie. In: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). 3. Auflage. Band 1, Mohr-Siebeck, Tübingen 1957, Sp. 1596.
  13. Übersetzung von „De servo arbitrio“ heiligenlexikon.de, abgerufen am 24. Januar 2018. [1]
  14. Hubert Cancik, Burkhard Gladigow, Matthias Samuel Laubscher (Hrsg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Bd. 4, W. Kohlhammer, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1998, ISBN 3-17-009553-6, S. 337 f.
  15. Streitenberger: Die fünf Punkte des Calvinismus, 2011.
  16. Franz Graf-Stuhlhofer: Warum Christen verschiedener Meinung sind, Vorwort zu Streitenberger: Die fünf Punkte des Calvinismus, 2011, S. 10f.
  17. Vgl. Nagel: Geschichte der islamischen Theologie, 1994, S. 45.
  18. Suleiman Ali Mourad: Early Islam between Myth and History. Al-Ḥasan al-Baṣrī (d 110H/728CE) and the Formation of his Legacy in Classical Islamic Scholarship. Brill, Leiden 2006, S. 3.