Cantus firmus

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Cantus firmus (etwa: „feststehender Gesang“, Plural Cantus firmi, Abkürzung c. f.), auch cantus prius factus („vorher gemachter Gesang“), nennt man eine festgelegte Melodie, die im Rahmen eines musikalischen Werkes von den anderen Stimmen umspielt wird, ohne selbst besonders weitgehend verändert zu werden.

In dem Lehrwerk zur Komposition Gradus ad Parnassum (in der Übersetzung von Lorenz Christoph Mizler), in dem der Cantus firmus eines der Hauptthemengebiete darstellt, wird die deutsche Bedeutung des Cantus firmus mit "schlechter Gesang" angegeben.

Geschichte

In der beginnenden Mehrstimmigkeit des Mittelalters war es üblich, dass der Tenor (hier noch auf der ersten Silbe betont, v. lat. tenere, „halten“) die Linie des Chorals hielt, also den Cantus firmus innehatte, während eine, zwei, später auch drei weitere Stimmen ihn umspielten.

Diese Technik wurde in der Musik der Renaissance um kontrapunktische Künste erweitert, wie den Cantus firmus in zwei Stimmen zeit- und lagenversetzt anzubringen. Im Quodlibet experimentierte man damit, bis zu drei verschiedene Cantus firmi, z. B. Volkslieder, gegeneinander zu setzen. Beliebt war auch die Parodiemesse, in der immer wieder eine bekannte Melodie als Cantus firmus auftaucht („parodiert wird“), beispielsweise das weltliche L’homme armé. Eine typische Cantus-firmus-Gattung der Renaissance ist auch das deutsche Tenorlied, ein vierstimmiger A-cappella-Chorsatz, bei dem die Melodiestimme im Tenor liegt.

Ein bedeutendes von Cantus-firmus-Techniken geprägtes Werk an der Schwelle von der Renaissance zum Frühbarock ist Claudio Monteverdis Marienvesper. In ihr sind die gregorianischen Vespergesänge durchgehend in die mit neuesten musikalischen Mitteln gestalteten Vokalkonzerte eingewoben.

In der Barockmusik wurde die Cantus-firmus-Technik weiter intensiv gepflegt. Besonders kennzeichnend ist er in der barocken Orgelbearbeitung; üblicherweise beginnen die anderen Stimmen mit imitierenden Einsätzen, die der zu verarbeitenden Melodie bereits entlehnt sind, bevor diese dann in längeren Notenwerten einsetzt. Wie die meisten Komponisten geistlicher Musik im Barockzeitalter verwendete auch Johann Sebastian Bach diese Technik sehr häufig in seinen Kantaten und Orgelwerken. Ein weiterer bedeutender Komponist von Cantus-firmus-Kompositionen war Johann Pachelbel.

Literatur

  • Martin Bieri: Ricercare. Verzeichnis cantus-firmus-gebundener Orgelmusik. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden u. a. 2001, ISBN 3-7651-0371-3, (Mit CD-ROM).
  • Wolf Frobenius: Cantus firmus. In: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie. Bd. 1, hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht und Albrecht Riethmüller, Schriftleitung Markus Bandur, Steiner, Stuttgart 1972–2006 (online).
  • Édith Weber (Hrsg.): Le cantus firmus. Exploitation à travers les siècles. Presses de l'Université de Paris-Sorbonne, Paris 2004, ISBN 2-8405-0330-1, (Itinéraires du Cantus Firmus 6), (École Doctorale Musique Paris, Musicologie, Groupe de Recherche sur le Patrimoine Musical, Colloque Itinéraires du Cantus Firmus 6, 2. – 3. April 1997).
  • Édith Weber (Hrsg.): Le cantus firmus. Hymnologique, pédagogique et lexicologique. Presses de l'Université de Paris-Sorbonne, Paris 2004, ISBN 2-8405-0331-X, (Itinéraires du Cantus Firmus 7), (École Doctorale Musique Paris, Musicologie, Groupe de Recherche sur le Patrimoine Musical, Colloque Itinéraires du Cantus Firmus 7, 22. – 23. April 1998).
  • Édith Weber (Hrsg.): Le cantus firmus. Aspects multiples. Presses de l'Université de Paris-Sorbonne, Paris 2007, ISBN 978-2-8405-0483-2, (Itinéraires du Cantus Firmus 8), (École Doctorale Musique Paris, Musicologie, Groupe de Recherche sur le Patrimoine Musical, Colloque Itinéraires du Cantus Firmus 8, 4. – 8. Juli 1999).
  • Johann Joseph Fux: Gradus ad Parnassum oder Anführung zur Regelmäßigen Musikalischen Composition, Aus dem Lateinischen ins Teutsche übersetzt, mit Anmerkungen versehen und heraus gegeben von Lorenz Christoph Mizler, 3. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1742, Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New York, 2014, ISBN 3-487-05209-1