Geschichte der Juden in Belgien

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Die Geschichte der Juden in Belgien verlief im Mittelalter ähnlich wie in Deutschland, unter den Habsburgern bot das Land einerseits Zuflucht für Flüchtlinge aus Spanien und Portugal, ging andererseits aber gegen die jüdische Zuwanderung vor.

Antike und Mittelalter

Die ersten Juden kamen in der Römerzeit etwa um das Jahr 50 n. Chr. Sie lebten etwa in der Linie von Brügge bis Köln, daneben in der Grafschaft Flandern. Sint-Truiden hatte früh eine Synagoge und einen Rabbiner. In Brabant gab es Juden ab dem 13. Jahrhundert in Löwen (1220), Tienen (1232), Mechelen (1273). Vor allem die Brüsseler Gemeinschaft war zahlreich. 1261 ordnete Herzog Hendrik III im Testament die Vertreibung der Juden wegen ihres Wucherhandels an sowie die Freistellung der Christen von den Zinspflichten. Die Witwe Adelheid von Burgund war sich unsicher, ob sie dem folgen könne, und fragte Thomas von Aquin um Rat. Im Werk De regimine judaeorum riet er, sie mit Steuern zu belasten und zum Tragen von Erkennungszeichen zu verpflichten. In der Grafschaft Hennegau bekam 1307 ein bedeutender Jude Asyl nach der Vertreibung aus Frankreich.

Die Kreuzritter wandten sich 1309 gegen Juden, wurden aber vom Herzog Johann II. im Kastel Genepien beschützt. In der Großen Pest nach 1349 kam es zwei Jahre lang zu schweren Verfolgungen unter dem Vorwurf der Brunnenvergiftung. In Brüssel starben 600 Juden, auch in Antwerpen, Löwen, Mechelen, Hasselt und Sint-Truiden gab es Tote. Darauf wanderten zwar neue Juden aus Frankreich ein, doch 1370 wurden in Brüssel und Löwen Juden verbrannt wegen Diebstahl und Hostienschändung.

Sephardische Juden

Ende des 15. Jahrhunderts kamen viele conversos aus Spanien und Portugal nach Antwerpen. Bekannt ist die Händlerfamilie Rodriguez d'Evora, die nach 1600 in den Adel aufstieg. In der Folgezeit ließen sich viele Sephardim in Belgien und den Niederlanden nieder. Kaiser Karl V. unterstützte dies 1526 durch ein Edikt, in dem er die Niederlassung mit Familien und Dienstboten zuließ. Dies förderte den ertragreichen Gewürzhandel. Dennoch gab es Vorwürfe, sie seien immer noch Kryptojuden. 1530 standen in Antwerpen Alfonse Fourco, Diego Lopez, Adam Vaes en Antonio Vaes vor Gericht wegen jüdischer Praktiken und Waffenlieferungen an die Osmanen, wurden aber freigesprochen. Der converso Diego Mendes wurde 1532 inhaftiert wegen Spionage für die Türken. Er musste sich mit 50.000 Dukaten freikaufen. Der Kaiser bekräftigte sein früheres Edikt 1536, worauf Josef Nasi unter dem Namen Juan Miguez in Antwerpen niederließ. Ein Edikt von 1540 verbot heimliche Sabbatfeiern, 1544 musste Antwerpen ein 'Marranenregister' anlegen. Ihr Wohlstand bot einigen Schutz, Loys Perez wurde 1546 sogar in den Adel erhoben. 1549 gebot der Kaiser den Konversen, die weniger als sechs Monate im Land waren, es wieder zu verlassen.

Österreichische Niederlande

Nach 1713 machte die Herrschaft Österreichs in Belgien eine Öffnung für Juden möglich. In dieser Zeit wanderten auch aschkenasische Juden in größerer Zahl ein. Kaiser Joseph II. gab Juden das Recht, Handel zu treiben und Grund zu besitzen. Am Ende durften sie auch eigene Friedhöfe anlegen.

Synagoge in Arlon

Belgien nach 1830

Mit der Unabhängigkeit 1831 anerkannte der Nationaal Congres den jüdischen Gottesdienst. 1832 wurde das Zentrale Israelitische Konsistorium errichtet. 1865 entstand in Aarlen die erste belgische Synagoge, die Hauptsynagoge in der Brüsseler Regentschapsstraat wurde zwischen 1876 und 1877, die in der Antwerpener Bouwmeesterstraat 1892 gebaut.

Um die Jahrhundertwende übernahm Antwerpen von Amsterdam die Stellung als Weltzentrum des Diamantenhandels. Mit dem Ersten Weltkrieg flüchteten viele jüdische Händler in Niederlande. Camille Huysmans holte sie ab 1919 zurück. Hinzu kamen in den 1920er Jahren viele Einwanderer aus Ostmitteleuropa (Polen, Rumänien).

Holocaust in Belgien

Innenhof der Dossin-Kaserne, 1942

Bis 1939 umfasste die jüdische Gemeinschaft in Belgien ca. 75.000 Personen, konzentriert in Antwerpen und Brüssel. Hinzu kamen 22.000 Flüchtlinge aus Deutschland. Schon vor dem Weltkrieg wuchs der Antisemitismus mit Ausschlüssen und Angriffen. Die deutsche Besetzung Belgiens dauerte von Mai 1940 bis September 1944. Viele Juden wurden inhaftiert, einige auch durch die belgische Polizei. Ihr Internierungsort war das Fort Breendonk. 1942 begannen die Massendeportationen in den Osten Europas, das Durchgangslager war die Dossin-Kaserne in Mechelen. Um 25.000 Juden wurden in 28 Zugkonvois von August 1942 bis Juli 1944 abtransportiert. Von diesen überlebten nur 5 Prozent. Eine spektakuläre Befreiungsaktion war der Überfall auf den 20. Deportationszug nach Auschwitz am 19. April 1943 durch drei Jungen, die vom Ukkeler Atheneum kamen, darunter Youra Livchitz.

Juden nach 1945 und in der Gegenwart

Etwa 45.000 Juden leben gegenwärtig wieder in Belgien, davon allein 20.000 in Antwerpen. Hier wird immer noch Jiddisch als Muttersprache gelernt wie in bestimmten Gemeinden in New York oder Israel. Es gibt daher viele jüdische Schulen, fünf jüdische Zeitungen und in Belgien 45, davon 30 Synagogen in Antwerpen.

Im 21. Jahrhundert hat der Antisemitismus in Form des Antiisraelismus in Belgien erheblich zugenommen, auch weil eine starke muslimische Immigration eingesetzt hatte. Ein Höhepunkt war der Anschlag auf das Belgische Jüdische Museum in Brüssel im Mai 2014, als ein Franko-Algerier vier Menschen erschoss.[1]

Siehe auch

Literatur

  • Christoph Cluse: Studien zur Geschichte der Juden in den mittelalterlichen Niederlanden, Hannover, 2000, ISBN 978-3775256193
  • Jean-Philippe Schreiber. L'Immigration juive en Belgique du moyen âge à la première guerre mondiale, Brussel, 1996
  • Jean Stengers: Les Juifs dans les Pays-Bas au Moyen Âge, Brussel, 1950
  • Eliakim Carmoly:Essai sur l'histoire des israélites en Belgique, in: Revue orientale, vol. I, 1841, p. 42-259
  • Sarah Abrevaya Stein (Hrsg.): With Many Miracles: A Memoir of Holocaust Survival in Belgium. 2024, ISBN 979-82-1834600-3.

Weblinks

Commons: Geschichte der Juden in Belgien – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelbelege

  1. Paris attacks and Brussels raids prompt Belgium's Jews to consider new exodus. 30. November 2015, abgerufen am 14. Mai 2024 (englisch).