Wochenbett

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Daniel Chodowiecki: Die Wochenstube (um 1770)

Als Wochenbett oder Kindbett bezeichnet man beim Menschen die Nachgeburtsphase (lateinisch Puerperium, auch Postpartalphase), das heißt die Zeitspanne vom Ende der Entbindung (Geburt) bis zur Rückbildung der schwangerschafts- und geburtsbedingten Veränderungen, was typischerweise sechs bis acht Wochen dauert. Während dieser Zeit erholt sich die Mutter von Schwangerschaft und Geburt. Bei stillenden Müttern beginnt innerhalb von drei bis vier Tagen die Bildung von Muttermilch anstelle des zuvor produzierten Kolostrums. Eventuelle Geburtsverletzungen können in der Zeit des Wochenbettes heilen. Eine Mutter in den ersten Wochen nach der Geburt wird als Wöchnerin, früher auch als Kindbetterin bezeichnet. Die Bezeichnung Wöchnerin leitet sich vom älteren Sechswöchnerin ab.

Medizinische Aspekte

In einem Zeitraum von sechs bis acht Wochen nach der Geburt eines Kindes muss sich der Körper der Mutter von der Schwangerschaft und der Entbindung erholen und hormonell umstellen. Im Rahmen der Schwangerschaftsrückbildung verkleinern sich die Gebärmutter und andere Organe. Die Haftstelle des Mutterkuchens (Plazenta), eine Wunde in der Gebärmutter, heilt unter Absonderung des Wochenflusses (Lochien) ab. Weil Frauen im Wochenbett viel Ruhe brauchen und gelegentlich seelisch labil sind, wird diese Zeit auch Babyblues genannt. Es ist die Zeit, sich auf die neue Situation und das Baby einzustellen.

Die Beziehung zwischen Kind und Mutter entsteht und entwickelt sich. Zentrale Themen für Mutter und Kind sind in der ersten Zeit meist die Gewöhnung an das Stillen, der Schlaf- und Trinkrhythmus des Kindes und allgemein die Zufriedenheit.

In dieser Zeit, vor allem in den als Früh-Wochenbett bezeichneten ersten zehn Tagen, besteht das Risiko des Kindbettfiebers (Puerperalfieber), einer bakteriellen Infektion der Gebärmutter und benachbarter Organe, dem durch erhöhte Hygiene vorzubeugen ist. Es hat ähnliche Symptome wie eine Blutvergiftung und war früher die Ursache vieler Todesfälle. Erst um 1850 erkannte der in Wien praktizierende ungarische Arzt Ignaz Semmelweis („Retter der Mütter“) die Ursache in Infektionen und kämpfte für bessere Hygiene in den Krankenhäusern und häufige Desinfektion vor allem der Hände der behandelnden Ärzte.

Im medizinischen Sinn kann eine längere sexuelle Enthaltsamkeit geboten sein.

Auch im Interesse des Neugeborenen ist besonders auf Hygiene zu achten. Insbesondere kann eine Infektion mit dem Herpes-simplex-Virus für das Neugeborene tödlich sein.[1][2]

Als sogenannte Wochenbetterkrankungen können neben dem Puerperalfieber (Wochenbettfieber) auch Lochialstauungen, Brustentzündungen und Wochenbettpsychosen auftreten.

Brauchtum

Im früheren Brauchtum wurde zwar der Sauberkeit und dem Mitgefühl, aber nicht unbedingt der Hygiene Bedeutung beigemessen. So schrieb man im alten Rom dem Besen eine besondere Bedeutung zu, und die Hebammen fegten mit einem gesegneten Besen die Hausschwelle des Geburtshauses, um böse Einflüsse vom Neugeborenen und der Wöchnerin abzuhalten.

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war es üblich, dass die junge Mutter sechs Wochen nach der Geburt ihren ersten Kirchgang hielt, insbesondere weil die Kirchgänger während der oft mehrstündigen Gottesdienste stehen mussten, und dabei besonders eingesegnet wurde.[3] Diese Sitte einer vierzigtägigen Abgeschiedenheit entstammt Lev 12,1–8 EU. So gilt die Wöchnerin etwa im Judentum und Islam einerseits als kultisch unrein, andererseits als besonders gefährdet durch böse Geister und deshalb schutzbedürftig. Orthodoxe Kirchen praktizieren diesen Brauch noch heute.[4] Verbunden mit dem religiösen Brauch war eine Schonfrist, in der die Frau von den Nachbarinnen mit einer speziellen Kost versorgt wurde und nach Möglichkeit das Haus nicht verlassen sollte.[5] Außerdem genossen Wöchnerinnen von Städten oder Gemeinwesen besondere Privilegien, beispielsweise erhielten sie in der Reichsstadt Nürnberg bis 1701 zur Stärkung ungeldfreies (steuerbefreites), günstiges Bier zugeteilt.[6] Auch rechtlich genoss die „Kindbetterin“ besonderen Schutz.[7] Starb sie jedoch in dieser Frist, fürchtete man sie als Wiedergängerin.[8] Aber auch in anderen, nicht auf dem Alten Testament basierenden Religionen ist die Zeit nach der Geburt mit zahlreichen Tabus umgeben.

Rechte der Wöchnerin

Die Wöchnerin bedarf, insbesondere im Frühwochenbett (erster bis zehnter Tag nach der Geburt), besonderer Ruhe und Pflege. Sie sollte keinerlei körperliche Arbeit verrichten, sondern sich voll auf ihr Neugeborenes und sich selbst konzentrieren. Die meisten Staaten kennen eine gesetzliche Mutterschutzzeit von sechs bis acht Wochen, in der ein strenges Beschäftigungsverbot für Wöchnerinnen gilt.

Deutschland

In der Bundesrepublik Deutschland besteht seit 1952 im Rahmen des Mutterschutzgesetzes ein absolutes Beschäftigungsverbot für Mütter in den ersten acht Wochen nach der Geburt. Der Verdienstausfall wird von der Krankenkasse, dem Arbeitgeber oder vom Familienfonds ersetzt, und es besteht das Recht auf spezielle medizinische Betreuung. Für die Zeit nach einer Fehlgeburt bestehen teilweise vergleichbare Regelungen.

In der Zeit des Wochenbettes hat jede Mutter Anrecht auf medizinische und beratende Hilfe durch eine Hebamme. Deren Leistungen werden von der Krankenkasse bezahlt.

Zusätzlich zur Betreuung durch eine Hebamme hat in Deutschland die Wöchnerin, vor allem nach einer Haus- oder ambulanten Geburt, das Anrecht auf Betreuung durch eine Mütterpflegerin oder eine Haushaltshilfe. Dies gilt für sechs Tage nach der Entbindung für maximal acht Stunden am Tag. Auch diese Leistung wird zum Großteil von den Krankenkassen bezahlt.

Bei finanzieller Notlage der Mutter kann diese beispielsweise aus Mitteln der Bundesstiftung Mutter und Kind Zuschüsse erhalten.

Schweiz

In der Schweiz beträgt der Mutterschaftsurlaub 14 Wochen,[9] in welcher gegenüber erwerbstätigen Müttern eine Lohnfortzahlungspflicht besteht. Gemäß Art. 35 ArG[10] besteht in den ersten acht Wochen ein striktes Beschäftigungsverbot; von der 9. bis zur 16. Woche darf die Erwerbstätigkeit nur bei ausdrücklicher Zustimmung der Wöchnerin wieder aufgenommen werden. Für stillende Mütter gelten – ebenso wie für schwangere Frauen – Einschränkungen bezüglich zeitlicher und körperlicher Beanspruchung bei der Arbeit.

Im Anschluss an die Geburt haben Wöchnerinnen in der Schweiz Anspruch auf Nachbetreuung. Bei einer ambulanten Geburt (Spitalentlassung innerhalb von sechs Stunden) oder bei einer Frühentlassung (Heimkehr innerhalb von drei Tagen) besteht ein Anspruch auf tägliche Hausbesuche einer freischaffenden Hebamme bis zum zehnten Tag nach der Geburt. Die Kosten dieses sogenannten ambulanten Wochenbetts werden durch die obligatorische Grundversicherung der Krankenkasse übernommen, ebenso jene für drei Konsultationen zur Stillberatung.

Siehe auch

Literatur

  • Elsbeth Kneuper: Mutterwerden in Deutschland. Eine ethnologische Studie. Forum Europäische Ethnologie, Band 6, Hamburg, 2004.
  • Peter Schneck: Wochenbett. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1501.

Weblinks

Wikibooks: Das Babybuch – Lern- und Lehrmaterialien

Einzelnachweise

  1. I.J. Light: Postnatal acquisition of herpes simplex virus by the newborn infant: a review of the literature. In: Pediatrics. Band 63, Nr. 3, März 1979, S. 480–482, PMID 440848 (Review).
  2. Großbritannien: Baby stirbt durch Herpes-Infektion. In: Spiegel Online. 27. Februar 2009, abgerufen am 9. Dezember 2014.
  3. Beispiel einer Einsegnungszeremonie aus der ErtzStifftische Magdeburgische Kirchen Agenda von 1665
  4. Auszug aus: Sergius Heitz: Mysterium der Anbetung III
  5. Als Beispiel Gebräuche rund um die Geburt in Taksony
  6. Jochen Sprotte: Das Kontrollsystem des Nürnberger Rates über die mittelalterlichen Brauer und deren Biere. In: Jahrbuch der Gesellschaft für Geschichte des Brauwesens e. V. 2018, ISSN 1860-8922, S. 233–290, hier 261–262.
  7. Kindbett. In: Vormalige Akademie der Wissenschaften der DDR, Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Deutsches Rechtswörterbuch. Band 7, Heft 6 (bearbeitet von Günther Dickel, Heino Speer, unter Mitarbeit von Renate Ahlheim, Richard Schröder, Christina Kimmel, Hans Blesken). Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1979, OCLC 718486457 (adw.uni-heidelberg.de).
  8. Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Band 33 (2006), S. 601
  9. Bundesgesetz über den Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft
  10. Arbeitsgesetz der Schweiz. Eidgenossenschaft (Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel): Gesundheitsschutz bei Mutterschaft